Warum ist es nicht feministisch, pauschal "gegen das Kopftuch" zu sein?

Das Kopftuch ist – sogar in feministischen Debatten – ein umstrittenes Thema. Insbesondere bei den selbsternannten (rassistischen und transfeindlichen) Radikalfeminist*innen wird regelmäßig das Kopftuch als das Symbol der Unterordnung und Unterdrückung der muslimischen Frau, als das Symbol für ein religiös begründetes Patriarchat verhandelt. Diese Überzeugung ist nicht nur in rechten und/oder radikalfeministischen Kreisen vertreten, sondern auch von weiteren Teilen der weißen Dominanzgesellschaft.

Warum ist es nicht feministisch, ein Kopftuchverbot zu fordern oder pauschal „gegen das Kopftuch“ zu sein?

Wir müssen uns fragen, wessen Körper thematisiert werden, und warum? Dafür ist eine intersektionale Perspektive wichtig.

„Am Kopftuch wie an allen Formen der weiblichen Bekleidung im Allgemeinen und Verschleierung im Besonderen wird die Verwobenheit von Religion, Kultur, Macht und Geschlecht, von Ungleichheit, Status, In- und Exklusion verhandelt.“
(Sabine Hark & Paula-Irene Villa: Unterscheiden und Herrschen.)

Es ist nie feministisch, Frauen und weiblich gelesenen Personen vorzuschreiben, was sie anziehen dürften oder sollten. Diese Kontrolle und Machtausübung über weiblich gelesene Körper ist ein wichtiges Instrument des Patriarchats.

Körper, die von der weißen cis-männlichen  Norm abweichen, werden bewertet, reguliert, kontrolliert. Diese Kontrolle wird viel im öffentlichen Raum ausgetragen, z.B. in Form von sexualisierten und rassistischen Übergriffen. Aber auch z.B. das Verbot vom Tragen bestimmter Kleidung – ob Hotpants oder Kopftuch – in der Schule ist ein Teil dieser patriarchalen Kontrolle.

Personen, die Kopftuch tragen, werden so das Ziel von rassistischen, misogynen Angriffen. Und das oft unter angeblich feministischen Deckmantel mit einer rassistischen Agenda.

Es ist außerdem nicht feministisch, Personen mit Kopftuch als „unterdrückt“ und „rückständig“ zu bezeichnen und sie als Opfer zu behandeln, die befreit werden müssten. Das impliziert nämlich, dass diese Personen keine eigene Handlungsmacht hätten, dass sie keine Entscheidungen selbst treffen könnten.
Muslimische Frauen werden so pauschal in einen Topf geworfen – das ist rassistisch und sexistisch.

Zudem müssen wir uns fragen: Wenn eine Person beispielsweise von ihrer Familie dazu gezwungen wird, ein Kopftuch zu tragen, hilft es ihr dann, dass das Tragen eines Kopftuches verboten wird?

Wenn z.B. Arbeitgeber*innen ihren Angestellten das Tragen eines Kopftuches verbieten, kann es passieren, dass diese Personen ihre Arbeit nicht mehr ausüben können. So werden Kopftuchträger*innen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, nicht von patriarchalen Zwängen „befreit“.

Schon zu Kolonialzeiten war das Kopftuch ein wichtiges Symbol der Kolonialherren, um das Bild der überlegenen, „aufgeklärten“ weißen Kolonisierer aufrecht zu erhalten. Frauen wurden bspw. im kolonisierten  Algerien in öffentlichen sogenannten „Entschleierungszeremonien“ dazu gezwungen, ihr Kopftuch vor Publikum abzulegen.
„Die Entblößung muslimischer Frauen im kolonialen Kontext diente so mit Nichten der Befreiung muslimischer Frauen, sondern eher der Selbstdarstellung der eigenen zivilisatorischen Überlegenheit“. (Dis:orient/ Mohamed Lamrabet: Queerwege in die Zukunft – Postkoloniale Grabenkämpfe in Deutschland und Frankreich.)

Auch heute gibt es in vielen europäischen Ländern ein Kopftuchverbot in Schulen und öffentlichen Einrichtungen, unter dem Deckmantel der Wahrung der „Neutralität“.
Ist diese Neutralität aber der wirkliche Grund, oder geht es schlicht um die Aufrechterhaltung der anti-muslimischen, rassistischen, misogynen Strukturen des weißen , europäischen Patriarchats und um die Kontrolle von Körpern, die nicht hetero weiß cis-männlich sind?

Die Kopftuchdebatte fügt sich in bekannte, kulturalistisch argumentierte, anti-muslimische Muster ein:
„Das Kopftuch, der Schleier wird totalisiert und die Person zur >Kopftuchträgerin<. Impliziert wird dabei, dass dies als Zeichen ihrer Unterdrückung durch eine rückständige religiöse Kultur verstanden werden muss. Einer Kultur, die ganz und gar anders ist, als die unsere“.
(Sabine Hark & Paula-Irene Villa: Unterscheiden und Herrschen.)

Eine Person zum Ablegen oder Tragen eines Kopftuches zu zwingen ist eine gewaltvolle patriarchale Praxis und niemals in Ordnung.


Anmerkung: Dieser Text bezieht sich auf die Kopftuchverbote und die Kopftuchdebatte in west-europäischen Ländern wie Deutschland oder Frankreich. Wir wollen damit nicht absprechen, dass Personen insbesondere in muslimisch geprägten Ländern schlimme und traumatische Erfahrungen aufgrund des Kopftuchs erleben, die auch klar patriarchal-religiös begründet sind. Egal wo und egal wer, die Wahl der Kleidung sollte immer frei sein.

Angegebene Quellen:

Paula-Irene Villa & Sabine Hark: Unterscheiden und Herrschen. Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart. Transcript Verlag.

Dis:orient/ Mohamed Lamrabet: Queerwege in die Zukunft – Postkoloniale Grabenkämpfe in Deutschland und Frankreich.